»Auschwitz fängt da an, wo einer sagt oder denkt: ES SIND JA NUR TIERE.« Theodor W. Adorno, Philosoph, Soziologe (* 11. Sept. 1903 † 06. August 1969)

Dienstag, 2. Juni 2015

Buch -Empfehlung: "Anständig essen" von Karen Duve

Von Karen Duve, geboren 1961 in Hamburg, deutsche Schriftstellerin und vielen bekannt aus diversen Talkshows, stammt das lesenswerte Buch "Anständig essen". Schon allein dieser Titel deutet darauf hin, dass viele Menschen in der Regel offenbar nicht besonders "anständig" essen. Auf dem Einband des Buches ist ein Häschen abgebildet, sitzend auf einem Teller und dahinter eine Frau mit Messer und Gabel in der Hand.
Karen Duve widmet sich in ihrem Buch einer moralisch sehr belasteten Thematik, nämlich der Ethik angesichts unserer Essgewohnheiten. Hierbei fragt sie sich in erster Linie selbst: Wie viel gönne ich mir auf Kosten anderer? Konkret: Inwiefern kann ich es vor mir selbst rechtfertigen, Tiere zu essen, von denen ich weiss, dass sie vor ihrem Tod ein himmeltrauriges Dasein fristen mussten? Und weshalb, obschon ich die Umstände doch kenne, kümmert es mich nicht?

Worüber die Autorin nachdenkt, darüber sollten auch wir nachdenken, denn wir wissen um die katastrophalen Zustände in den Massentierhaltungsfabriken, wir wissen, dass viele Tiere in den Schlachthöfen nur ungenügend betäubt werden und daher meist noch lebendig einen grauenvollen Tod sterben müssen. Wir wissen ebenso, dass männliche Ferkel ohne Betäubung kastriert und Gänse in Polen, Ungarn und China für die Gewinnung von Daunen lebend gerupft werden. Wir wissen es alle - und nur riesengrosse Dummköpfe vermögen auf den Gedanken zu kommen, sich hinter der Ausrede verstecken zu wollen, nichts über das Leid und Elend der betroffenen Tiere gewußt zu haben. 
Auch die Autorin Karen Duve wusste dies alles und erzählt uns Lesern, dass trotz dieses Wissens die Grillhähnchen-Pfanne für nur 2.99 Euro immer ihr Lieblingsessen war. Jedoch im Dezember 2009 beginnt sie über vieles ganz neu nachzudenken: Wie muss ein Huhn gelebt haben, dass es zu diesem geringen Preis erhältlich ist? Ihr wird klar und bewußt: gut kann dieses Leben nicht gewesen sein, und sie ahnt auch, dass es vermutlich nicht einmal den Begriff Leben verdient. Aber weshalb kümmert sie das nicht?

In ihrem Buch zitiert Duve die Philosophin Hannah Arendt: «Die grössten Verbrecher sind die, die das Denken verweigern», und sie beginnt zu recherchieren. Sie, die sich als Tierfreundin bezeichnet und mit Maultier, Esel, Pferd, Katzen und Hühnern auf dem Land in der Märkischen Schweiz lebt, liest jeden Artikel, jedes Buch, jede Statistik zum Thema, und sie geht dabei schonungslos vor, auch mit sich selbst. Sie taucht ein in eine Welt, die mit derjenigen aus der Fernsehwerbung, den idyllischen Bildern von Bauernhöfen auf den Verpackungen und der schicken Atmosphäre in Restaurants nichts zu tun hat. Sie taucht ein in eine Welt, in der es um Bolzenschussgeräte, Elektrozangen und Gas geht, in eine Welt, in der grausam getötet wird und in der Tiere wie eine Ware behandelt werden. 
700 Millionen dieser Tiere werden jährlich allein in Deutschland geschlachtet. Und sie beschliesst, fortan ein Jahr lang ethisch korrekt zu essen. Das sind anfangs zwei Monate lang Bio, danach zwei Monate vegetarisch, dann vier Monate vegan und schliesslich, das Allerhärteste, zwei Monate frutarisch. Letzteres bedeutet: Davon ausgehend, dass auch Pflanzen Schmerzen empfinden, wird nur gegessen, was sie von selbst hergeben. Erlaubt sind beispielsweise Äpfel, Nüsse, Samen, Beeren, Tomaten, Bohnen, Erbsen.

Und alle ihre Anstrengungen werden zu höchst komplizierten Unterfangen und immer wieder stellen sich ihr neue Fragen, neue Widersprüche und Probleme in den Weg.  Duve beschreibt dies alles sehr vergnüglich und mit viel Humor, staunt immer wieder über sich selbst und ihre bisherige Ignoranz, sowie aber auch über die menschliche Fähigkeit, das Mitgefühl, das uns doch auszeichnet und auf das wir uns etwas einbilden, einfach nach Belieben ein - und ausschalten zu können.

Über die industrielle Massentierhaltung und Fleischproduktion schreibt Karen Duve: «Das Verwerfliche an der Massentierhaltung ist, dass hierbei nicht die Haltung an die Bedürfnisse der Tiere angepasst wird, sondern die Tiere an eine offensichtlich ungeeignete Haltungsform angepasst werden, indem man sie an Hörnern, Schnäbeln und Ringelschwänzen verstümmelt, damit man noch mehr zusammenstopfen kann. Massentierhaltung bedeutet, dass man Tieren Höchstleistungen auf Kosten ihrer Gesundheit anzüchtet. Massentierhaltung bedeutet Turbo-Futter, schlechte Gesundheit, Schmerzen, Stress, Bewegungsmangel und früher Tod. Massentierhaltung bedeutet Tierquälerei zur Gewinnmaximierung.»

Angesichts dieser Erkenntnisse geht es ihr nunmehr weniger um eine gesunde Ernährung. Auch nicht das durch die Massentierhaltung geschädigte Klima ist für sie ein ausschlaggebender Grund für den Verzicht auf Fleisch, sondern  es geht ihr hauptsächlich um die Tiere, nämlich darum, dass wir als intelligente Spezies, für die wir uns halten, das Leiden von Tieren nicht länger gedankenlos in Kauf nehmen dürfen.

Sie beteiligt sich an Tierrettungsaktionen - und zu ihrer Überraschung sehen die Hühner in einem deutschen Biomastbetrieb nicht viel besser aus als deren Artgenossen in herkömmlichen Betrieben, denn auch sie haben kaum Federn, abgetrennte Schnäbel, um sich nicht gegenseitig zu verletzen, und nur ein klein wenig mehr Bewegungsfreiheit als ihre Artgenossen aus der konventionellen Haltung, wo einem Huhn gemäss EU-Richtlinien gerade mal der Platz in der Grösse eines A4-Blatts plus Postkarte zusteht. Hühner aus normalen Mastbetrieben nehmen jeden Tag 5,5 Prozent ihres Eigengewichts zu, was ungefähr einem zehnjährigen Kind entspricht, das Tag für Tag zwei Kilo fetter wird.

Letztlich zieht Karen Duve Bilanz und gesteht, dass es ihr Leben deutlich vereinfachen würde, wenn sie sich wieder "doof" stellen könnte. Und sie spinnt den Gedanken von Hannah Arendt weiter: «Es gibt nämlich noch etwas Schlimmeres, als das Denken zu verweigern – die Zusammenhänge zu kennen, ohne daraus die Konsequenzen zu ziehen.» Mit anderen Worten: Der Konsument hat es in seiner Hand und zu sagen, er habe von nichts gewusst, gilt nie und nimmer als Entschuldigung.

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