»Auschwitz fängt da an, wo einer sagt oder denkt: ES SIND JA NUR TIERE.« Theodor W. Adorno, Philosoph, Soziologe (* 11. Sept. 1903 † 06. August 1969)

Samstag, 23. Mai 2015

Metzger, Jäger & Co. (Teil 1)

Von Dr. Gunter Bleibohm

Die gefährlichsten Momente der Weltgeschichte waren stets die Zeitabschnitte, in denen es einer Einzelperson oder strukturierten Gruppierungen gelang, sowohl die Machthaber als auch die Schlüsselfiguren des Volkes hinter einem gemeinsamen Gedanken, einer Idee, einer Ideologie, hinter einem gemeinsamen Weltbild, zu vereinigen. Die Vereinigung konnte eine langsam wachsende sein oder, wie im Fall der Revolution, eine eruptive, eine plötzliche, eine Veränderung, das bisherige Gedankengut wegspülende Flut.
Waren die Hauptakteure des Staates auf das neue Denken eingeschworen und durch ökonomische Zuwendungen oder machtpolitische Vorteile fest für die Idee gewonnen, konnte die neue Sicht der Dinge der zumeist wirtschaftlich abhängigen Bevölkerung aufoktroyiert werden, gewaltsam oder schleichend.

Beide Varianten sind durch zahlreiche Vorgänge in den letzten Jahrhunderten mehrfach belegt. Die Französische Revolution als gewaltsamer Umsturz, das Christentum als schleichender Änderungsprozess mögen als Erinnerung genügen. Die schleichende Einführung neuer Denkweisen über mehrere Generationen minimiert einen potentiellen Rückfall in vergangene, überholte Denkmuster, da die jüngsten Generationen mit der neuen Wertauffassung aufwachsen und im Sinne dieser Gedankenwelt erzogen werden. Die Gefahr einer Konterrevolution bei plötzlicher Änderung der Sichtweisen sinkt – nach einer sehr kritischen ersten Phase – gleichfalls auch mit der zunehmenden Anzahl neuer Generationen nach Revolutionsbeginn.

Sobald die neue, akzeptierte Grundeinstellung sich in der Gedankenwelt der Bevölkerungsmehrheit stabilisiert und verankert hat, wird sie nicht mehr oder kaum noch hinterfragt, wird gelebt, wird als verbindlich und richtig anerkannt, sie ist zur neuen gesellschaftlichen Norm geworden, sie wurde vergesellschaftet. Das ab diesem Wendepunkt gültige Weltbild ist das Gesetz der Herrschenden, des Staates, der Wirtschaft, der Medien, der sozialen Orientierung des Volkes, das herrschende Gesetz ist das Gesetz einer, der allgemein akzeptierten neuen Sinnesart.

Vorstehend skizzierter Ablauf wird aber in seiner Norm nachgerade irreversibel manifestiert, wird das politisch-gesellschaftliche Weltbild mit einem metaphysischen Überbau versehen, der das gesamte tägliche Leben mit seinen vielfältigen Handlungen, Entscheidungen und deren Folgen vor einem religiösen, gar göttlichen Hintergrund rechtfertigt. Um die heutigen Gegebenheiten unserer westlichen Gedankenwelt in die modellhaft gegliederte Weltsicht und stützende metaphysische Rechtfertigung einzuordnen, sei der Gegenstand nachfolgender Ausführungen primär auf den europäischen Kulturkreis, auf die Rolle des Christentums als Hauptbestandteil westlicher Religionen, reduziert.

Der außerordentliche Grad der Denkfähigkeit des Menschen hat ihn in die Lage versetzt, sich von problematischen Lebensraumverhältnissen unabhängig zu machen, sie vielmehr selbst zu verändern und schließlich nahezu ganz zu ignorieren. Damit hat sich der Mensch als gleichsam höheres Wesen buchstäblich über die Natur hinweg gesetzt, sich von ihr und allen darin befindlichen Lebensformen separiert und zum mächtigsten Wesen der Erde entwickelt. Als ein durch Gruppensozialität und Rangordnung grundstrukturiertes und damit geradezu zwangsläufig nach Höherem orientiertes Wesen sieht er sich als legitimen Gesprächspartner höchster Mächte, als Krone und Ziel der Schöpfung, wesensähnlicher seinen gedachten Gottheiten, als den ihm tatsächlich genetisch artverwandten, jedoch in der Rangordnung seiner Werteskala weit unter ihm eingestuften Tieren.

Dieses Überlegenheitsgefühl, dieses vermeintliche Wissen, dieses göttliche Recht ist ihm zwischenzeitlich im Bewusstsein verankert, wird von ihm nicht mehr hinterfragt – weder individuell noch kollektiv -, wird ihm in Schulen als fundamentale Gegebenheit gelehrt, vorgelebt durch staatliche Gesetzgebung und anerzogen durch überwiegend kritiklose Eltern. Der andere Teil der Lebewesen unserer Erde, vor allem die Tiere nämlich, sind hingegen heute - unterstellt man die gewohnte Sicht des Massenmenschen auf diese Kreaturen - zu belebten Wesen degradiert, zu atmenden Produktionsfaktoren, an denen entweder archaische Instinkte, Perversionen und Grausamkeiten legal ausgelebt werden können, die dem menschlichen Vergnügen dienen - wie bei Jagd, Zirkus, Stierkampf etc.- oder die vorwiegend als nachwachsende Rohstoffe bzw. als Nahrungsmittel zu seinem Nutzen gehalten und vielfach geradezu großtechnisch produziert werden.

Ursache dieser abscheulichen, jeder Moral und Ethik entbehrenden Denkungsart, ist in erster Linie die unheilvolle Lehre der christlichen Kirche, den Mensch als Ebenbild Gottes zu definieren, ihn gleich hinter Gott einzuordnen, weit vor dem Rest der Natur und insbesondere weit vor der Pflanzen- und Tierwelt. Die Reihenfolge: zuerst Gott, dann Mensch und zuletzt Natur und Tierwelt ist das verbrecherischste Verdikt der gesamten Menschheitsgeschichte! Dem Mitgeschöpf, dem Tier, wird dadurch jedes wirkliche Recht, jedes soziale Empfinden, jede Art von Psyche und nicht von ungefähr vom Christentum auch noch die Seele – als exklusives Geschenk des übermenschlichen Schöpfergottes – abgesprochen. Dieser anthropozentrische Irrsinn kulminiert darin, dass ein vermeintliches Leben nach dem Tod nur den Menschen erwartet, dank seiner unsterblichen Seele; allein der Beweis für diese Behauptung fehlt, konnte und kann nicht erbracht werden. Wird diese Vorstellung noch durch das Argument des alleinigen Besitzes von Vernunft beim Menschen ergänzt, wird die Unlogik und Haltlosigkeit dieser Denkweise offenbar.

Weder ist in einer Gesamtbetrachtung der Weltgeschichte bei Kriegsgeschehen, Bevölkerungswachstum, Umweltvernichtung und ungehemmter Ressourcenplünderung  überragende Begabung für das seltene Gut der Vernunft feststellbar, noch ist sie bei Einzelbetrachtung ausgewählter Individuen als grundangelegt erkennbar. Senile, schwere Fälle geistiger Behinderung und Demente rangieren oftmals in ihrer Vernunft auf einem Niveau weit hinter hoch entwickelten Säugetieren; auch der nicht explizit betrachtete Teil des homo sapiens zeigt Vernunft meist, wenn überhaupt, nur partiell und/oder temporär. Es ist somit allein der Wahn des Menschen, seine paranoide Hybris, sich als etwas Höheres, Bedeutenderes, Lebenswerteres zu halten; lebensverachtende Theologie hat ihm dieses Empfinden eingeimpft, es ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. "Die Menschen tun das Böse nie so vollständig und begeistert, wie wenn sie es aus religiöser Überzeugung tun" formuliert Umberto Eco diesen Fakt.

Fortsetzung im morgigen Blog-Beitrag ......

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