»Auschwitz fängt da an, wo einer sagt oder denkt: ES SIND JA NUR TIERE.« Theodor W. Adorno, Philosoph, Soziologe (* 11. Sept. 1903 † 06. August 1969)

Montag, 4. Mai 2015

Christen gegen die Kreatur

Eine Polemik von Karlheinz Deschner :

Zum puren Vergnügen marterten mittelalterliche Christen im Spiel vom Geflügel bis zu den Rindern alles zu Tode. Schweine wurden am Strang gesetzesgerecht hingerichtet, Hunde als Teufelsgehilfen gepeinigt und lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Auch Katzen flogen am Johannistag in ganz Westeuropa fuhrenweise ins Feuer; in Metz veranstaltete man mit ihnen, unter klerikaler Patronanz, entsetzliche Autodafés bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.

"Grausamkeit gegen Tiere", notiert Alexander von Humboldt, "kann weder bei wahrer Bildung noch wahrer Gelehrsamkeit bestehen." Aber bei wahrer Religion.

Tausende von Tieren wurden vom 9. bis zum 19. Jahrhundert - segensreiche Nachwehen alttestamentlicher Theokratie - strafverfolgt und barbarisch exekutiert, häufig wegen sogenannter Bestialität (sodomia ratione generis). Auch den Klerus bedrohte man dafür mit Strafen, erst recht die Laien, und wollte noch die lasterhaften Tiere umgebracht und den Hunden vorgeworfen sehen. Doch auch Hunde büßten, hatten sie gesündigt, schrecklich, wie jene "Punzenlecker", die man 1771 im Pariser Raum, waren sie Rüden, sämtlich konfiszierte und verbrannte. Denkwürdig, beiläufig, daß die christliche Kirche das von den Juden übernommene Gesetz gegen Bestialität auf die Juden selbst ausgedehnt hat. Galt doch der Koitus zwischen Christ und Jüdin - hier knüpften, wie nicht selten dann in dieser Hinsicht, die vom Kirchenschwachsinn inspirierten Nazis an - als gleichwertig dem mit einem Tier.

Nun gibt es Christen, die gern jenen, der dem Bruder Esel predigte, den Vögeln, als Alibi benutzen, Franz von Assisi, diese fast singuläre Lichtgestalt in all den finsteren Geschehnissen der Kirchengeschichte. Seine Beziehung aber zum Tier, wie halbherzig auch immer - er wandte sich bei eklatanten Roheitsakten "nicht gegen die Roheit selbst und erst recht nicht gegen die Rohlinge persönlich" (so der Bayreuther Soziologe Gotthard Teutsch) -, nahm die Kirche nie wirklich ernst; Papst Innozenz III. kommentierte, der Überlieferung zufolge, er solle doch den Schweinen predigen.

Und dreieinhalb Jahrhunderte später, 1567, verbot Pius V. - Inquisitor und heilig - durch die Bulle "De salute gregis" zwar Stierkämpfe "für ewige Zeiten", doch nicht, wie meist hingestellt, als Humanitätsakt gegenüber den Stieren und oft grauenhaft krepierenden Pferden, sondern nur, wie § 1 testiert, wegen der "häufigen Todesfälle von Menschen, Verstümmelungen menschlicher Glieder und Gefahr für das Seelenheil". Wieder dreihundert Jahre darauf Mitte des 19. Säkulums, untersagte Pius IX. die Eröffnung eines Tierschutzbüros in Rom; habe der Mensch doch, was Tiere betrifft, keinerlei Pflichten - und 1985 erfolgte der erste Schritt zu seiner Heiligsprechung kraft offizieller Anerkennung seiner "heroischen Tugend".

Und heute? Klipp und klar erklärt 1993 der "Katechismus der Katholischen Kirche":
"Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt, den er nach seinem Bilde geschaffen hat. Somit darf man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen. Man darf sie zähmen, um sie dem Menschen bei der Arbeit und in der Freizeit dienstbar zu machen. Medizinische und wissenschaftliche Tierversuche sind in vernünftigen Grenzen sittlich zulässig ..."

Ja, hält dieser katholische Katechismus nicht weiter Tür und Tor offen für jede Scheußlichkeit gegenüber einer ganz und gar wehrlosen, ganz und gar schuldlosen, aber ganz und gar versklavten Kreatur? Gegenüber Geschöpfen, die oft in ihrem Erleben, Fühlen, wie Genetik, Biologie, Verhaltensforschung, wie ja auch alltägliche Erfahrungen zeigen, uns in vielem sehr ähnlich, uns nicht selten inniger, treuer zugetan sind als menschliche Freunde? Doch fort und fort darf das animal rationale mit (nicht nur) katholischem Plazet Leichen genießen; fort und fort darf es weiter sich vollstopfen mit Fleisch und Fisch bis zum Rande seines Fassungsvermögens, wofür Jahr um Jahr Milliarden "Mitgeschöpfe" verröcheln müssen, weit mehr als die Hälfte unbetäubt; ist ja auch nach den EKD-"Texten" 41, 1991, das "Gewaltverhältnis" zwischen Mensch und Tier "grundsätzlich unaufhebbar". 

Und weiter darf der Mensch, laut "Weltkatechismus", sich geschäftlich der Tiere bedienen. Und wie bedient er sich? Indem er Robbenbabys vor den Augen ihrer Mütter zu Tode knüttelt. Indem er Karakullämmer gleichsam pränatal aus dem Mutterleib prügelt. Indem er in den Ferkel -, den Hühnerbatterien, den Mastboxen und Dunkelställen die ihm rettungslos, ihm wie Sachen, nein, wie Dreck Ausgelieferten derart zusammenpfercht, daß sie in ihrer Not einander Schwänze und Ohren abbeißen oder die eigenen Jungen fressen.

Und seit dem 11. Dezember 1996 erlaubt unsere christliche Regierung das Halten von noch mehr Tieren als bisher "pro Anlage ohne Genehmigung" - beinah dreimal soviel! Man bedient sich der ohnmächtigen Kreatur, der "Mitgeschöpfe", indem man ungezählte Kälbchen auf qualvollstem Transport ihren Schlächtern lebend, sterbend, schon krepiert, zukarrt, um die "Frühvermarktungs-", die "Herodes-Prämie" zu kassieren, ein Schimpf- und Schandgeld sondergleichen!

Das Monster der Schöpfung darf Tiere zum Amüsement gebrauchen. Und wie gebraucht es sie? Indem es Enten, Gänsen, Hühnern um die Wette die Köpfe abreißt. Indem es beim "Steer Busting" Tiere mit dem Lasso an den Hinterläufen fängt und herumschleift, bis sie sterben. Indem es Stieren, vor ihrem Todeskampf in der Arena, die Nase mit Watte verstopft, die Augen mit Vaseline verkleistert. Indem es an gewissen Heiligenfesten in Spanien mit pfarrherrlichem Beistand Ziegen und ihre Jungen lebend vom Kirchturm stürzt.

Und natürlich darf der Mensch auch künftig seine "Mitgeschöpfe" kaum vorstellbar gräßlich zu Tode schinden. Zwar sollen, einigen Fachleuten zufolge, Tierversuche für die Medizin wissenschaftlich wertlos sein - doch auch andernfalls wäre ich ausnahmslos dagegen.

Ihr Wert für die Wirtschaft aber ist unbestritten. Für den Vatikan, beteiligt an Pharmafirmen, ist diese fürchterlichste Tortur der Welt, diese gesammelte immerwährende Grausamkeit bis zum Tod, "sittlich zulässig". Auch und gerade für seine Heiligkeit Johannes Paul II. können Tiere "natürlich ... Gegenstand (!) von Experimenten sein", wie er am 23. Oktober 1982 verlauten ließ - von Experimenten, die der Hindu Ghandi "das schwärzeste aller Verbrechen" nennt. (Diesem Verbrechen fielen 1989 allein in Deutschland - nach einem allerdings sehr unvollständigen Regierungsbericht - 2,64 Millionen Tiere zum Opfer.)

Freilich, wie sollte die Gemeinschaft der Heiligen (und Scheinheiligen), wie sollte eine monopolistische Marktform im Mantel der Religion, die jahrhundertelang auch "Ebenbilder Gottes" unbarmherzig peinvoll-böse mund- und mausetot machte, deren phänomenalster Werbeautor Augustin, angeblich "umflossen vom milden Glanze unbegrenzter Güte", in Wirklichkeit Urvater aller mittelalterlichen Henkersknechte, schon um 400 sogar das Foltern nicht nur eine Bagatelle im Vergleich zur Hölle nennen, sondern geradezu als "Kur" (emendatio) heils- und inquisitionsgeschichtlich etablieren konnte, wie sollte eine Kirche, die unmittelbare und mittelbare Mörderin von Hunderten von Millionen schuldloser Menschen, tierisches Leben nicht nur verbal, nicht nur sub specie momenti, und sei es mit noch so sonorer Phraseologie in Sonntagsreden, Tiergottesdiensten, durch Tieresegnen, Weihwasserbespritzen et cetera, sondern tatsächlich schützen? Wie sollte sie Tieren eine Seele zugestehen, die sie, beim Rauben fremder Länder, noch Menschen anderer Rasse und Lebensart absprach?

Auch viele Rom-Katholiken empörte dieser Weltkatechismus. Renato Moretti, der wackere Franziskaner, schrie gar: "Satan ist im Vatikan eingezogen!" Immerhin gibt es Gottesdiener, beschämend wenige, die nicht bloß moderat für die "unbeweinte Kreatur" streiten, sondern die auch den "Verrat der Kirchen an den Tieren" geißeln (Carl Anders Skriver), dabei aber das Christentum rechtfertigen, reinwaschen wollen oder, wie der sicher meritenreiche Oxforder Theologe und Tierethiker Andrew Linzey, wenigstens den "Geist des Evangeliums", das doch ohne jeden bestimmten Anhalt dafür ist. Doch nirgends lehrt Jesus: Schützt die Tiere - er tötete zweitausend.

Mit Vorliebe sucht man heute das Alte Testament zu salvieren. Ungeachtet dutzendweiser wutschäumender Ausrottungsdirektiven seines Götzen betont man die angebliche Achtung der "Schrift" vor dem Leben, ihr altes Schöpfungswissen, die Schöpfungsgemeinschaft von Mensch und Tier et cetera - nichts als vages, sich auch schnell in Widersprüche verhaspelndes Gestammel oder glatte Heuchelei. In aller Regel nämlich ist aus der Bibel ganz klar das Gegenteil herauszulesen und deshalb auch ganz klar das Gegenteil hervorgegangen. 

Und zu dem Auftrag, der ihr so fatal voransteht und unserer Historie geradezu posaunenhaft präludiert, gehört nun einmal untrennbar der Nachhall, die Wirkung. Wie erbärmlich jedoch, die Wurzeln des Unheils im Alten Testament, im Christentum zu ignorieren und die Schuld dafür besonders und immer wieder auf das entchristlichte (gewiß nicht zu entlastende, hemmungslos entfesselte, nichts als profitgeile) Wirtschaftssystem der Moderne zu schieben. Denn wie Hitlers Tötung der Juden die terrible Konsequenz ihrer fast zweitausendjährigen blutrünstigen Verfolgung durch die Kirchen ist, so ist die jeder Beschreibung spottende moderne Vermarktung des Tieres nichts als die technisch forcierte und perfektionierte Fortsetzung eines nie abreißenden Massenmordes durch alle christlichen Zeiten, das Resultat des Anfangsschreis: "Machet sie euch untertan" - das umfassendste Unterjochungs- und Todesverdikt der Geschichte, infernalischer Auftakt der Deformierung eines Sterns zum Schlachthaus.

Seit zwei Jahrtausenden brüstet sich die Christenheit, das Tieropfer von Anfang an abgeschafft zu haben. Und doch hat sie mehr Tiere geopfert als jede andere Religion - nur nicht mehr Gott, sondern dem eigenen Bauch.

Karlheinz Deschner

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